Dienstag, 27. Juli 2010

(9) KONTAKT & ... PANG!!!

Hi, geneigte leserin und leser!

Willkommen! Weißt du eigentlich, dass du diesen BLOG auch von vorn lesen kannst? Wenn du dazu lust hast, müsstest du beim POST-Nr. 1 vom januar 2010 beginnen (s. rechts die archivliste). Oder gehörst du sowieso eher zu den "überfliegern", die nur sporadisch ein bissel lesen? Eventuell bist du auch gerade frisch reingeschneit? Egal - willkommen sei mir jede frau und jeder mann! Und darum für alle zuerst ein kurzer serien-rückblick, "was bisher geschah...":




  • Mit dem vorliegenden beitrag schließt sich der kreis ein erstes mal und - es lebe der wandel ! - wir starten damit sogleich eine neue runde.

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Mein lehrer Wilhelm Mertens hat einmal gesagt, dass IM MOMENT DES KONTAKTS bereits alles entschieden sei.

Hier kannst du nun sehen, welchen reim ich mir darauf mache (zum kontext s. POST 1-3). Also keine kommuniqués, keine plagiate, sondern nur erfahrungs-getränktes zeug. Keine theorien über "qi" oder "peng"-energie, sondern  EXPERIMENTELL überprüfbare - auch von dir überprüfbare - hypothesen und modelle.

Prozesse, die simultan oder fast simultan ablaufen, sind in der wirklichkeit manchmal total einfach und werden nur kompliziert, wenn du sie in einem linearen diskurs darstellen willst. Darum hab ich mit dem computer ein paar bildchen "gemalt" und wild mit jeder menge pfeilen und spiralen und strahlen versehen, die ich mit kommentaren etwas verständlich machen will.

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Also gleich mitten rein:

abb. 1
In abb. 1 siehst du den berühmten sägemuskel am werk, den du im letzten beitrag (POST 8 http://taijifortwo.blogspot.com/2010/07/8-und-wie-finde-ich-die-arm-schulter.html) hast kennenlernen können.

Die kleinen blauen pfeile deuten an, dass du mit seiner unterstützung in den rücken atmen und ebenfalls mit seiner hilfe deine hände von den schulterblättern aus in den raum ausweiten kannst (große strahlen).

Die szene stellt genau den moment der kontaktaufnahme dar.

TEST

Das kannst du beim strukturtesten in verschiedenen zhan zhuang-stellungen ausprobieren - egal ob du einen oder beide arme vor dem rumpf gerundet hast - oder ob du in einer sog. "kampf"-grundstellung  wie "hände heben" oder "spiele die pipa" stehst.

Wichtig ist, dass du dich IN den moment des kontakts hinein ausweitest und dass du das vom rücken aus machst.

Probiers mal so aus. Dann mach es anders, z.B. dass du deine arme anspannst oder vollkommen nudelig lässt - und vergleiche es wieder mit dem einsatz des serratus anterior muskels.

Selbstverständlich bist du in der praxis intentional (yi) auch schon auf dem weg nach unten, zu deinen füßen und stellst den bezug her zum einen oder anderen fuß, oder beiden - je nach fußstellung und je nachdem was du ausprobierst.

Bei einem wie mir, der quasi konstitutionell auf "hit & run & run & hit" programmiert ist, hat sich mein geduldiger lehrer bald 15 jahre lang den mund fusselig gebabbelt: Nicht abhauen! Nicht weg von..., sondern hin zu... ! Deine füße sind unten, nicht hinten! usw.

Wenn du mit den 5 Loosening-Exercises nach Huang Xiangxian vertraut bist, wie sie Patrick Kelly rekonstruiert hat, dann entspricht der dargestellte moment der 1. phase der 5. Lockerung.

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Okay - bevor es jetzt gleich komplexer wird, weil ich  in der nächsten szene, die reale kontaktperson - deinen "gegenspieler" - mit hineinnehme, schau dir erst noch die beiden folgenden abbildungen an:

abb. 2
abb. 3

In abb. 2 siehst du wie du deinen "qi-ball" nach allen seiten expandierst und dir die prall-elastischen eigenschaften eines mit luft gefüllten großen gymnastikballs zu eigen machst.

ÜBUNG

Den qi-ball ausweiten, ein qi-ball werden: Das ist das, was du beim zhan zhuang-stehen "energetisch" gesehen als erstes machst: Mit hilfe deiner atemkraft  öffnest du alle deine gelenke und dehnst passiv dein fasziengewebe von innen her.
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Achte nur darauf, dass du das nicht übertreibst und deinen "qi-ball" höchstens zu 70% füllst - aus gesundheitsgründen, aber interessanterweise auch aus dynamischen gründen. Du bist kein autoreifen! Dazu in einem der nächsten POSTs mehr.

In abb. 3 spielst du so einen "qi-projizierer" oder "leere kraft-meister" oder was weiß ich. Interessiert mich an dieser stelle auch gar nicht, wo ich nicht einmal weiß, was "qi" überhaupt alles ist bzw. bedeutet. Denke am besten nicht zu viel darüber nach, sondern geh auch hier spielerisch-experimentell vor. Spiel von mir aus den jedi-ritter mit dem laser-schwert oder den samurai, dem sein meister gesagt hat: Wenn du das schwert beim hieb führst, spalte die ganze welt!

Also nicht denken, sondern DEHNEN! In den RAUM dehnen bzw. "kontaktende Hinwendung" (Volkmar Glaser, Eutonie) zu deinem interaktions-partner. Wichtig ist jedenfalls, dass du beim "strahlen" deine intention und empfindungs-achtsamkeit im raum eher linear von A nach B ausstreckst.

TEST

Ob sowas "unsubstanzielles" bei deinem gegenüber "ankommt", kannst du im kooperativen experiment mit deinen übungspartnern ausprobieren, die dir rückmeldung geben können.

CHRIS VOGEL bietet in seinem eBook "THE ART OF USING ENERGY AS TAUGHT THROUGH PUSH HANDS" jede menge übungen, bei denen nicht nur du, sondern auch dein helfender partner, instruiert werden, was genau zu tun ist. (s. http://taijifortwo.blogspot.com/2010/01/chris-vogel-die-kunst-der.html).

Das erste nennt man wie gesagt EXPANSION (abb.2) und das zweite EXTENSION (abb.3).

Expansion kommt vom lateinischen "pan-de-re" und hat die bedeutung  "ausbreiten" in alle richtungen: Gas z.B., das ein vakuum füllt, expandiert nach allen seiten.

Extension leitet sich dagegen vom lateinischen "ten-de-re" ab und hat die bedeutung dehnen, spannen, zielen, ausstrecken, anstrengen (vgl. http://www.lateinwiki.org/Hauptseite).

Diese unterscheidung ist enorm wichtig, gerade weil du bei der gestaltung des kontakts BEIDE eigenschaften benötigst. Schon in der ersten szene (abb. 1) hat das, was sich bei dir hinten in deinem rücken abspielt eher expansive qualität, während du zur weiteren gestaltung des kontakts nach vorne mehr extensive, zielende fähigkeiten brauchst.

Sicher wirst du ohne ein energetisches fundament in der qi-expansion, keine gute extension kultivieren können. Andernfalls überwiegt bei deiner intention das angestrengt-gespannt-wollende, statt das hindehnend-zielende. Und dann ist alles nix, bei der nutzung der "power ohne anstrengung" :-)))

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Aber nun erst mal rein ins "handgemenge":

abb. 4
Es handelt sich wohlgemerkt immer noch um ein und denselben einatem, mit dem du bei dir nun weiter abwärts zum unteren rücken gelangst und deine lendenlordose füllst. Deren zentrum heißt im fachchinesisch übrigens "lebenstor/mingmen", welches du weit aufmachst und dehnst (s. die kleinen blauen pfeilchen und die kleine blaue spirale).

Das expansive ausfüllen deines ganzen rückens schafft die basis für die weitere extension nach vorn hinaus. Unter beibehaltung des ersten kontaktdrucks (große blaue strahlen), der nach angaben der taiji-klassiker nicht mehr als ein paar unzen betragen soll, erweiterst du deine intention immer weiter auf die ganze person (gelbe strahlen).

Das weiten deines unteren rückens ermöglicht das absenken deiner ellbogen (vgl.die FUSSNOTE in http://taijifortwo.blogspot.com/2010/07/8-und-wie-finde-ich-die-arm-schulter.html), sodass du nun über die ellbogen den unteren rücken deines gegenspielers erreichen kannst.

Desweiteren entwickelst du von deinem gedehnten rücken her eine umhüllende qualität der extension (dicke rote, gepunktete linie).

Deine extension verschmilzt dich mit deinem interaktionspartner zu einer einheit. Das habe ich mit der säule dargestellt (dünne schwarze, gepunktete linie).

Die qualität deines kontakts ist davon abhängig, dass du hier vom rücken her eine gleichmäßige druckqualität in den händen und armen bewahrst - ganz wie die außenhaut eines luftgefüllten gymnastikballs (auch dazu in einem späteren beitrag mehr ).

Es wird hier auch klar - wenn ich mir die nebenbemerkung erlauben darf -,  warum das schwellende peng-jin sowohl die basis des hörens als auch des klebens ist. (Vgl. hierzu Ma Yueh-liang/Zee Wen, Wu Style Taichichuan Tuishou, S. 15 f., sowie immer noch super material: Mike Sigman, http://www.iay.org.uk/internal-strength/peng-index.htm).

Du weitest dich in den binnenraum deines gegenspielers aus. Dieses spürende hören (ting jin) und klebende eindringen (nian jin) nimmt deinem gegenspieler den spielraum quasi von innen her.

Im kontext der 5. Loosening Exercise befinden wir uns bei abb. 4 übrigens in der 2. phase, die durch sinken (ins hintere bein) gekennzeichnet ist.

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Weiter gehts! Keine panik, wenn es hier wegen der vielen pfeile, strahlen und spiralen ein wenig unübersichtlich zu werden scheint. Wenn du bis oben zur abb. 4  hast folgen können, so ist die folgende abb. 5  auch nicht mehr so verwirrend. Außerdem habe ich es zur evtl. erleichterung in die themen atem-verbund-sinken-entwurzeln sortiert.

Wechsle immer wieder in die BINNENPERSPEKTIVE der linken figur auf ihren interaktionspartner und den raum. Die ganzen strahlen und pfeile sind empfindungen, expansionen, extensionen, projektionen...
Denke dran, alles geschieht mehr oder weniger gleichzeitig und ist IN EINEM GEFÜHL synthetisiert.

Und wenn du es besser weißt oder darstellen kannst - und ich hege keinen zweifel daran, dass es deiner/eurer viele gibt -, machst du am besten eine bessere zeichnung und teilst sie mit anderen. Das nützt dir selber und der kunst. Du weißt ja: Kunst wird mehr und nicht weniger, wenn du sie mit anderen teilst. Das gilt für taiji nicht minder.


abb. 5
Atem:
  • Deine einatem-phase kommt hier zum ende. Dein einatem erreicht vom rücken die mitte  (blauer gepunkteter pfeil). 
  • Das dantian ist als rote spirale dargestellt. Dieses lässt du sogleich tief in den boden fallen (große rote strahlen), wenn du spürst, dass dein atem deinen unterbauch füllt.
  • Die blaue spirale ist das zwerchfell und sieht hier aus wie das fell einer trommel (s. weiter unten)
Verbund:
  • Durch gestaltung der verbindung zu deinem gegenspieler bist du mit diesem zu einer einheit verschmolzen (vgl. abb. 4). Das habe ich mit den dünnen, schwarzen gepunkteten linien (säule) angedeutet, sowie mit den großen blauen und gelben strahlen und der horizontalen, roten gepunkteten linie.
Sinken:
  • Stell dir vor, besagte säule ist ein aufzug, in dem du zusammen mit deinem interaktionspartner stehst. 
  • Mit dem fährst du nun in einem hochhaus ein oder mehrere stockwerke tiefer (dicker schwarzer pfeil). 
  • Das geschieht simultan mit dem bereits erwähnten vorgang, dass du dein dantian tief in den boden fallen lässt (große rote strahlen). 
  • Keinesfalls in die knie gehen dabei! Soweit es über ein inneres sinken hinaus ein äußeres ist, beginne immer mit dem falten der leiste statt der knie (vgl. erläuterung zu schritt II in http://taijifortwo.blogspot.com/2010/07/7-eine-effektive-methode-deinen-bauch.html).

Selbstverständlich nutzt du für euren aufzug nach unten auch noch die (attackierende) energie deines gegenspielers. Mit hilfe deiner strukturarbeit beim zhan zhuang hast du ja gelernt, einen auf dich ausgeübten horizontalen druck in vertikalen druck zu übersetzen.

Alles "steht und fällt" jetzt übrigens damit, dass du hier - außer dem weiter oben beschriebenen elastischen, hörenden und klebenden kontakt- und verbindungsdruck - KEINERLEI zusätzlichen HORIZONTALEN druck oder zug auf deinen interaktionspartner ausübst!!! Andernfalls machst du besagtes "einheits-säulen-aufzugs"-setting sofort zunichte. Das - genau das (!) - ist hier das einfache, was so schwer ist und was wir noch ganz, ganz viel üben müssen ... wollen ... dürfen :-))).
    Entwurzeln
    • Du weißt doch, wie man eine karotte aus der erde holt. Oder? Auf keinen fall ziehen, sonst hast du nur das kraut in der hand. Die wurzel brichst du dadurch, dass du die möhre erst nach unten drückst und dann nach oben aus dem boden schüttelst (vgl. taiji-klassiker: Willst du entwurzeln - musst lockernd du und lösend - nach unten stoßen)
    • Dasselbe hast du nun mit den füßen deines gegenspielers gemacht (große rote, gepunktete pfeile). 
    • Je nach dem, was für lücken sich deinem gespür erschlossen haben (grünes fragezeichen), kannst du nun zum nächsten schritt übergehen und den lift nach oben fahren lassen (s. hierzu unten den ANHANG).

    Im referenzrahmen der 5. Lockerung nach Huang/Kelly sind wir jetzt bei phase 3: kompression und gehen nun zu phase 4, der energieabgabe, über.

    )*(

    Ja, was nun folgt, ist von den spezifischen umständen abhängig und sieht so oder ähnlich aus:

    abb. 6
    Dein unterbauch ist jetzt vom rücken her mit deinem einatem gefüllt. Das fell der trommel ist gespannt oder vergleiche es mit der sprungmatte eines trampolins (s. abb.5).

    Dein ausatem spielt hier eine rolle wie das werfen der münze auf die trommel (wie es im Lied vom Push Hands heißt). Oder wie der sprung in ein trampolin.

    Und dann macht es "PANG", wenn die spannung des trommelfells die entsprechende qualität hat.
    Ist das durchmesser der trommel klein und das fell sehr stark gespannt, macht es "päng" und nicht "PANG". Päng wäre ein "kurzes jin" und PANG eben ein "langes".

    Diese expansionswelle ihrerseits, die sich vom dantian in alle richtungen ausbreitet, löst an den füßen die BODENREAKTIONSKRAFT aus. 

    DIESE erst gibt deinem weiteren, leicht zur brust aufsteigenden ausatem den backup und die überholend-überschießende power, die sich in armen und händen manifestiert.

    Wenn du es aus der perspektive des gepushten betrachtest:

    • Am übergang von der kompressionsphase zur phase der energieabgabe (deines partners) müsste es unter deinen füßen zuerst ganz "wolkig"  geworden sein und in dir so ein beschwingt-torkelndes gefühl aufsteigen.
    • An deinen fußsohlen, den "sprudelnden quellen" (yongquan), stecken deine wurzeln jetzt eben nicht mehr tief in der erde, sondern "es sprudelt" da wortwörtlich.
    • Zuerst spürst du deine entwurzelung, und dann macht es auch schon PANG.


    Falls dein gegenspieler dich vorher nicht entwurzelt hat und deine wurzel erst mit der energieabgabe bricht, macht es auch nicht PANG, sondern eher päng.

    )*(

    ANHANG: WERKSTATT-NOTIZEN

    Wilhelm Mertens betont, dass "es" (verortet am ende der kompressionsphase) erst im gegenspieler aufsteigen muss, bevor du pushst.

    Es gibt verschiedene konzeptionen und akzentuierungen, wie du als pusher diese aufsteigende qualität in dir erzeugst und nach dem prinzip der kommunizierenden röhren in deinem inter-aktions-partner manifestierst.

    abb. 7

    Hier (abb. 7) siehst du ein modell der berühmten Heng-Ha-Atmung - dem "geheimen" taiji-qigong der Yang-familie, das vor vielen jahren bereits von Chen Yen-lin veröffentlicht worden ist (s. Jou Tsung Hwa, The Tao Of Tai Chi Chuan, m.E. übrigens besser als Stuart Olson, Das Qi pflegen). 

    Das modell erinnert dich vielleicht an den "kleinen energie-kreislauf", nur ist hier die fließrichtung umgekehrt ebenso wie die atmung. Ist gar nicht so schwer, wenn du es leicht und sanft angehst. Und am besten sogar weit unterhalb der 70% marke bleibst.

    Geh selbstverantwortlich und achtsam mit dir um. Am besten du ziehst jemand zu rate, der wirklich was davon versteht. Und wenn du es allein probieren willst, lass dir viel zeit und bereite dich lieber vor mit singen oder didgeridoo blasen, als dich selber wie einen reifen aufzupumpen (darüber in einem nächsten Post mehr).
     
    Die Heng-Ha-atmung lässt sich mit folgender vorstellung kombinieren:

    abb. 8
    abb. 9
    TEST

    Du ziehst alles zum dantian (abb.8: HENG) und expandierst wieder (abb.9: HA). Mit den blauen, gelben und roten pfeilen sind verschiedene intensitätsstufen markiert: Du kannst damit beginnen, die hüft- und schultergelenke zum dantian zu beziehen und wieder zu expandieren, und im weiteren knie und ellbogen, sowie füße und hände einbeziehen.

    Diese übung kannst du in deine steh-übung ebenso einbringen wie in dein formenlaufen (s. hierzu viele anregungen auf Mark Cohens BLOG: http://nineheavenchigung.blogspot.com/)

    Ähnliche übungen sind auch als körper-, haut- oder knochenatmung bekannt (vgl. etwa Mantak Chia, u.a.)

    Dabei vereinigst du automatisch deinen, den rücken abwärtssinkenden "atem" (abb. 7) mit deiner vom beckenboden hochgezogenen energie (abb. 8). Das ist die kombination von "nachgeburtlichem" und "vorgeburtlichem" qi - wie es bei den daoisten heißt (vgl. Jou, a.a.O., S. 126 f.).

    TEST 

    In schrittposition bei klarer unterscheidung in der gewichtung ergibt sich während der HENG-einatem-phase automatisch ein aufsteigen im leeren bein bei erhöhung der kompression im gesetzten.

    Sofern die oben ausführlich geschilderte und illustrierte kontakt- und verbindungsqualität funktioniert, kannst du dich selber dabei mit der absinkenden energie und deinen interaktions-partner mit der aufsteigenden energie verbinden ---.

    Falls du mit solchen fortgeschritteneren praktiken des taiji-qigong vertraut bist, kannst du das ja mal antesten. Aber sachte und immer nur ganz wenige wiederholungen - antesten eben. Nicht feste üben, sondern ab und an mal ausprobieren.


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    Das ganze funktioniert in einem ein-aus-atemzug oder - wie es im taiji-klassiker heißt: "Gesamt soll es in einem qi vollendet sein" (zit. nach Rainer Landmann, Taijiquan).

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    Es wird dir womöglich auch ein weiteres auffallen:  In der  phase, da sich die kompressionsphase ihrem höhepunkt nähert, kommt es automatisch zu einer vertikalen ausrichtung des beckens. Eben, wenn der HENG-einatem vom rücken zur beckenmitte, vom mingmen zum dantian strömt (s. abb. 7 & 8).

    Mehr eine momentaufnahme, eher eine wandlungsposition des qualitativen umschlagens, statt eine habituell gehaltene position oder gar "haltung" irgendeiner "rückenschulung". So viel noch zum thema "becken kippen/tuck under" (vgl. http://taijifortwo.blogspot.com/2010/06/6-uber-gunstige-und-ungunstige.html)


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    Selbstverständlich ist es von deiner erfahrung abhängig, wie sauber du bei diesen prozessen die bahnen des sinkens und steigens "legst". Wilhelm Mertens vertritt zum beispiel ein modell, das eher am "großen energie-kreislauf" als am kleinen orientiert zu sein scheint (s. abb.10, soweit ich das verstanden habe) und das mit z.T. simultanen sink-und steigprozessen arbeitet.

    abb. 10

    Mit "Mut zum Unvollkommenen" (Horst Tiwald, http://www.tiwald.com/wisstexte/buch_manuskripte/buch_psychotraining10.pdf ) begnüge ich mich allerdings vorerst mit dem oben dargestellten, etwas einfacher gestrickten modell.

    Wohl wissend, dass es da noch mehr gibt. Und mit der zuversicht, dass sich der kleine energie-kreislauf zum großen erweitern lässt.
     
    Dazu sollte man aber die übung des simultanen sinkens und steigens, die in der 2. Lockerungsübung nach Huang/Kelly ja vorgeübt wird, auch IN DER KONKRETEN INTER-AKTION erst einmal beherrschen. Da sind wir allerdings noch "ein kleines stück weit" :-))) entfernt.

    Eines wird mir aber immer klarer: Push hands ist nix anderes als angewandtes qigong und peng-jin ist sein qi. Peng ist "eine versteckte kraft, weil sie in erster linie durch sensitivität und handwerkliche fertigkeit erzeugt wird" (Ma Yueliang, übers. os).


    (c) otmar sauer, 28. juli 2010





    PS: Übrigends sehr empfehlenswert:
    http://www.innere-kraft-64.de/

    Donnerstag, 15. Juli 2010

    (8) UND WIE FINDE ICH DIE ARM-RUMPF-VERBINDUNG?


    "Beachte, dass die leichte ausweitung der schulter nicht nur am leichtesten die bahnung des bodenpfads erlaubt, sondern den arm auch gleichzeitig mit dem rücken verbindet" 
    (Mike Sigman in: http://www.iay.org.uk/internal-strength/peng-index.htm )


    Die arm-rumpf-verbindung vollzieht sich über den schultergürtel. Dieser besteht aus den beiden schlüsselbeinen vorne und den beiden schulterblättern hinten, die auf dem brustkorb ruhen. Sie bilden einen "ring" oder "gürtel", der vorne vom brustbein und hinten durch muskel geschlossen wird.
    Die an den schulterblättern ansetzenden muskel dienen sowohl der beweglichkeit der oberen extremitäten als auch ihrer stabilisation. Für die "funktionelle integrität" des beweglichsten gelenks unseres körpers sind im wesentlichen nur muskel zuständig (vgl. Appell/Stang-Voss, Funktionelle Anatomie)


    )*(

    Wenn dir jemand erzählt, die realisierung einer - wenn, auch nur minimal  - belastbaren arm-rumpf-verbindung bedürfe ausschließlich der entspannung und lösung deiner rumpfmuskulatur - so glaube ihm nicht! Oder - etwas wohlmeinender ausgedrückt: nimm es nicht ganz so wörtlich ;-)

    TEST 

    Aber warum überprüfst du es nicht selber an dir am eigenen leib?  Vielleicht stellt sich der arm-rumpf-verbund ja tatsächlich spontan ein - sozusagen als "entspannungsreaktion" oder "passiver dehneffekt"?!?

    Nimm zu testzwecken deinen linken arm in die "peng"-position und fühle mit der anderen hand hinten quer über den rücken nach deinem linken schulterblatt (siehe abb. 1 & 2)


    abb. 1
      



    abb. 2
            
    Falls du den innenrand deines schulterblatts (scapula) mühelos ertasten kannst, so ist das --- leider ---  ein indiz dafür, dass dieses noch nicht richtig gut in deinen rücken integriert ist und folglich deine arm-rumpf-verbindung noch nicht optimal "sitzt". 
    Um zu spüren warum, übe ein wenig druck mit dem linken unterarm oder handgelenk gegen eine wand o.ä. aus - - -

    )*(

    Okay - und?- was ist passiert? Ist dein linkes schulterblatt noch mehr in richtung deiner wirbelsäule  gerutscht und dessen innerer rand noch weiter hochgeschoben worden? Hast du sogar ein regelrechtes engelsflügelchen gekriegt ???
    Selbst wenn du in deiner not jetzt zu kompensationszwecken deinen schultermuskel (deltoideus) anspannen würdest - wie das vielen pushern trotz "bester vorsätze" passiert - bringt dir das gar nix.

    Der grund? Dein engelsflügelchen ist die folge davon, dass ein spezieller muskel die rede von der entspannung und lösung der rumpfmuskulatur als instrument der arm-rumpf-verbindung allzu wörtlich genommen hat. 

    Scapula alata ("geflügeltes schulterblatt") lässt sich nämlich zurückführen auf insuffizienz des sägemuskels, der dein schulterblatt an die rückseite deines brustkastens heranzieht und dadurch stabilisiert.

    Der vordere sägemuskel (serratus anterior) zieht außerdem dein schulterblatt diagonal nach unten und lässt es nach vorne gleiten. Wenn seine unterkante entlang der kurve des brustkastens vom serratus nach vorne und abwärts gezogen wird, rotiert das schulterblatt etwas.

    Das schultergelenk (glenohumeral) wird bekanntlich vom kopf des oberarmknochens und dem schulterblatt gebildet. Die beschriebene aktion des sägemuskels senkt darum - durch das schulterblatt vermittelt - das schultergelenk und bewegt dieses durch die leichte drehung des schulterblatts nach außen. Das bewegt seinerseits den arm vom körper weg.

    abb. 3

    Was aber den vorderen sägemuskel - nicht nur für push hands-spieler - nachgerade zum "MAGISCHEN" muskel werden lässt, ist der umstand, dass sich mit seiner hilfe auch in den rücken atmen lässt. Der serratus anterior muskel fungiert nämlich auch noch als atemhilfsmuskel, wenn deine arme nach vorne ausgerichtet sind und infolgedessen deine brust "gehöhlt" ist.  
    (Vgl. ausführlich und differenzierter zum serratus anterior: Kendall et al., Muscles - Testing and Function with Posture and Pain, sowie: Myers, Anatomy Trains). 


    WIE KANNST DU DEN SÄGEMUSKEL FINDEN, AKTIVIEREN UND TRAINIEREN?

    Wenn du nicht sehr austrainiert und muskulär "definiert" bist, wirst du besagten sägemuskel schwer an dir im spiegel sehen können. Wichtiger aber ist es sowieso, ihn zu spüren. 
    Im gegensatz etwa zum schultermuskel (deltoideus, s. abb.5), über den das "kraftprogramm" läuft und dessen aktion deine schulter hebt, undurchlässig und unbeweglich macht, wirkt der serratus anterior mehr im verborgenen, von innen und von unten her. Er ist nämlich unter bzw. vor den schulterblättern direkt auf dem brustkasten gelegen, und wird großteils auch von den großen rückenmuskeln wie dem kapuzenmuskel (trapezius) und dem breiten rückenmuskel (latissimus dorsi) verdeckt. Er schaut nur seitlich an den rippen sägezahnartig hervor (s. abb.3, 4, 5).


    abb. 4



    abb. 5

    PRAXIS: "SENSORISCHES KRAFTTRAINING"

    Es gibt eine ganze reihe von übungen, wie du schulterblatt und vorderen sägemuskel spüren und zum zweck optimaler arm-rumpf-verbindung "trainieren" kannst (vgl. hierzu auch http://totalhealthyoga.blogspot.com/2007/09/shoulder-scapula-align-your-scapula.html)

    Zum beispiel im liegen: knie angewinkelt und füße aufgestellt, rücken flach am boden, sodass du deine schulterblätter gut fühlen kannst. Deine arme & hände zeigen nach oben zur decke.
    Wenn du nun deine hände weiter zur decke streckst, spürst du, wie sich deine schulterblätter vom boden abheben. Das ist eine aktion deiner beiden sägemuskel. 

    Oder aber du begibst dich auf alle viere, hinten auf unterschenkel und knie, vorne auf unterarme und ellbogen. Auch in dieser stellung kannst du sozusagen "push ups" machen, die so funktionieren, dass deine schulterblätter an den hinteren brustkorb angepresst werden und entlang der rippen nach vorne gleiten.

    Wenn du den sägemuskel mal gefunden hast, wirst du ihn nicht nur in der kampfkunst, sondern auch im alltag wiederfinden.
    Vielleicht magst du ihn im auto beim halten des lenkers entdecken und aktivieren oder - noch wichtiger - beim radfahren. Speziell beim biken wirst du dadurch vielleicht von der unart geheilt, dich unelastisch - wirklich wie "totes fleisch" (Yang Chengfu) - in deine aufgestützten, durchgestreckten arme zu hängen.

    In jedem fall wird es dir dein nacken danken, wenn du - sozusagen "ein stockwerk tiefer" - den gebrauch deiner sägemuskel ( und des breiten rückenmuskels) erlernt hast.

    In der folge habe ich einige übungen ausgewählt, die sich gleichermaßen in deine zhan zhuang/steh-übung, huang-lockerungen oder chen-seidenübungen, deine taiji-formarbeit und deine push hands-partnerarbeit einbringen lassen.

    ÜBUNG I

    Stell dich im abstand von circa 50 cm vor eine wand. Lege deine linke hand mit den fingern nach oben in höhe deiner linken schulter an die wand. Lasse den ellbogen nach unten hängen und beuge ihn so, dass auch dein unterarm die wand berührt.

    Gleichzeitig bringst du deine rechte hand vornherum zur linken seite deines brustkastens. Lege sie etwa da hin, wo du die in abb. 4 skizzierte wellenlinie siehst.

    Drücke nun deine linke hand gegen die wand, ohne dass du dich gleich wegdrückst. So müsstest du unter den fingern deiner rechten hand spüren, wie der sägemuskel anspringt und seine arbeit beginnt. 

    Alternativ kannst du mit deiner rechten hand auch hintenherum quer über den rücken zur innenseite deines linken schulterblatts reichen und spüren, wie das schulterblatt sich nach diagonal unten zur seite entfernt, nachdem der sägemuskel zu arbeiten begonnen hat.

    Falls dir das ganze anfangs noch ein bissel schwerfallen sollte, kannst du ja bei der startposition (abb. 5/ links) daran denken,  deine schulter nach unten und vorne zu kreisen. Allerdings solltest du die ganze zeit betrebt sein, den "primären beweger" dieser aktion empfindungsmäßig zu identifizieren.

    ÜBUNG II 

    Auch hier stehst du im abstand von ca. 50 cm von einer wand entfernt. Nur diesmal hast du den arm in der "peng"-position (s. abb.6)
     
    abb. 6

    Zu ÜBUNG I & II kannst du dir auch ein video von Steven Smith auf youtube angucken: http://www.youtube.com/watch?v=fP--r6nbK1Y 

    ÜBUNG III 

    Ideomotorische metaphern - egal ob tradierte alt-chinesische oder neu-westliche - sind nichts anderes als kreative synthesen funktionell-anatomischer und sensorischer erfahrungen und erkenntnisse.

    Die folgende übung ist an eine ideokinetische übung von Eric Franklin angelehnt (Befreite Körper, Handbuch zur imaginativen Bewegungspädagogik) und  hilft dir durch atemkraft (qi).

    Am besten du stehst dazu in der zhan zhuang-position "Den baum umarmen", füße parallel und schulterbreit auseinander, arme vor der brust gerundet.

    Stell dir nun vor: Deine schulterblätter seien windrädchen  (s. abb. 7)

    abb. 7

    Der "wind" deines ausatems streicht zwischen deinen schulterblättern die wirbelsäule hinab und treibt dabei die beiden windrädchen an. Das linke schulterblatt-windrädchen dreht sich nach unten und links, und das rechte nach unten und rechts.

    Beobachte, was dieses bewegungsbild für einen effekt auf deinen oberen rücken, deinen schultergürtel, deine arme und insgesamt dein körper-sein hat.

    Achte außerdem nach einem langen ausatem darauf, wie sich dein einatmen anfühlt und wo es spürbar ist.

    ÜBUNG IV 

    Eine sehr interessante, subtile trainingsmethode, um deine hände von den schulterblättern aus zu bewegen, findet sich in Andrea Olsens führer zur experimentellen anatomie: "Körpergeschichten. Die Abenteuer der Körpererfahrung"

    Nach Andrea Olsen sind deine einzelnen finger mit speziellen bereichen deiner schulterblätter (bzw. unterschiedlichen anteilen des sägemuskels) verbunden. 
    Der kleine finger ist auf  den unteren schulterblattwinkel bezogen, der ringfinger auf den äußeren rand, der mittelfinger direkt zum schultergelenk, der zeigefinger zur schulterblattgräte (spina scapulae - das ist das knöcherne "geländer", das du fühlst, wenn du von oben über die schulter zu deinem schulterblatt tastest; vgl. abb.2) und der daumen zum rabenschnabelfortsatz (processus coracoideus), der sich hinter dem schlüsselbein befindet. 

    Du kannst das auf verschiedene weisen austesten. Etwa durch fokussierung beim armschwingen, wobei du am besten mit großen unterschieden beginnst: z.B. kleiner finger, dann daumen, dann ringfinger ...
    Oder bei deiner steh-übung "Den baum umarmen", indem du einzelne finger in den raum erweiterst.
    Zur abwechslung kannst du auch in "peng"-position mit deiner anderen hand einzelne finger durch den arm in richtung rücken schieben und spüren...

    Nachdem du diesen zusammenhang erst mal entdeckt hast, kannst du dem bewegen der hände aus den schulterblättern in allen möglichen kontexten nachgehen.

    Sicher wirst du für die optimierung deiner arm-rumpf-verbindung zunächst am meisten profitieren, wenn du den fokus auf den kleinen finger (und vielleicht den ringfinger) legst. Das impliziert eine rotation von hand und unterarm, wodurch der daumen nach innen und der kleine finger nach außen dreht (pronation).

    ÜBUNG V  

    Oder probiere es doch einmal mit der stellung "Der weiße kranich breitet die flügel aus" aus dem yang-stil taiji.

    "In dieser stellung", schreibt die amerikanische taiji- und alexander-lehrerin Holly Sweeney, "ist es auch leicht, die aktion des serratus anterior muskels zu fühlen, der die untere kante unseres schulterblatts nach unten zieht und die rippen entlang nach vorne, um unser rechtes schultergelenk abzusenken.

    Wenn wir unsere linke hand unter unser rechtes schultergelenk legen, während wir den rechten arm in der position 'Der weiße kranich breitet seine flügel aus' halten, und [dann abwechselnd] unseren serratus anterior muskel entspannen und aktivieren, können wir fühlen, wie sich die untere kante unseres schulterblatts entlang unserer rippen vor und zurückbewegt." (http://physical-literacy.com/images/pdf%20articles/Part_6_sink_elbows_22.pdf. Übers. von mir, os).

    In ähnlicher weise kannst du auch in anderen bewegungsbildern und stellungen deiner taiji-form arbeiten. Wenn du hier noch den breiten rückenmuskel (latissimus dorsi) hinzunimmst, wirst du deine aktionen mit "gesunkenen schultern und hängenden ellbogen" auszuführen können (FUSSNOTE).


    SCHLUSS

    In ihrer lesenswerten studie zu Yang Chengfus "Die Zehn Prinzipien" kommt Holly Sweeney zu dem ergebnis, der vordere sägemuskel erfülle das prinzip "senken der schulter" mit entspannt-öffnender qualität (a.a.O.)

    Gleichwohl handelt es sich bei der arm-rumpf-verbindung eben um eine spezielle muskuläre aktion bei der bewegung und stabilisierung des schulterblatts. Dies schließt selbstverständlich die entspannung etwa von antagonisten wie dem rautenmuskel (rhomboideus)  nicht nur nicht aus, sondern ein. 

    Damit der vordere sägemuskel seine funktion z.B. bei der zhan zhuang-position "den baum umarmen" (vgl.http://www.yiquan78.org/anatomie.htm) gut erfüllen kann, ist es natürlich funktionell, wenn etwa schultermuskel (deltoideus), brustmuskel (pectoralis), rautenmuskel (rhomboideus), schulterblattheber (levator scapulae)  und der breite rückenmuskel (latissimus dorsi) entspannt oder gelöst sind. 

    Funktionelle anatomie ist auch in der modernen chinesischen taijiquan-forschung heute schon eine selbstverständlichkeit. So schreibt der sportwissenschaftler Li Zhongjing in einem artikel über "Die innere Kraft des Taijiquan und strukturelle Veränderungen des menschlichen Bewegungsapparates":

    "Was ist nun eigentlich die innere Kraft des Taijiquan? Man kann mit Bestimmtheit sagen, dass die innere Kraft eine Muskelkraft darstellt. Keine [Form der] Kraft des menschlichen Körpers kann unabhängig von der Muskelkraft grundlos entstehen. Egal über wie viel innere Energie man verfügt oder wie viel gedankliche Vorstellung man aufwendet - sobald man seinen Körper bewegt, muss man Muskelkraft einsetzen. Wenn dem so ist, warum weisen uns dann die Vorfahren des Taijiquan seit Alters her an, dass wir das Qi üben und das 'Begreifen des Herzens' - Yi statt [Muskel-]Kraft einsetzen sollen? In Wirklichkeit geht es hier um den Prozess, wie man das Gongfu übt. - Das Üben des Qi bzw. des Yi hat stets den Zweck, noch besser die Muskelkraft des menschlichen Körpers nutzbar zu machen. Dabei handelt es sich um ein vom Taijiquan geschaffenes Mysterium: das Üben des Taijiquan geht nämlich notwendigerweise vom Üben des Qi und des Yi aus.
    Es ist ganz offensichtlich, dass die innere Kraft auf alle Fälle eine neue Koordinationsweise des Einsatzes der Muskelkraft ist, welche durch die Muskelkraft im Zusammenwirken mit 'Qi' und 'Yi' ausgebildet wird." 

    Ich hoffe, dass du im vorliegenden post ebenso wie in den restlichenen beiträgen genügend hilfreiche beispiele für ein zusammenwirken von erfahrbarer anatomie des lebendigen körpers und empfindungsachtsamkeit, von atemkraft (qi) und intentionalität (yi) finden wirst.




    -- -- --
    FUSSNOTE
    Holly Sweeney beschreibt  Yang Chengfus prinzip des "senke die schulter und lasse ellbogen fallen" als einen "tanz" zwischen serratus und latissimus: "'Fallen' der ellbogen erfordert rotation des humerus [oberarms], diese aktion nimmt den breiten rückenmuskel in anspruch und verbindet die armstruktur mit der taille. Die aktion dieses muskels zieht auch die armstruktur abwärts und rückwärts, und balanciert die aktion des serratus anterior, der das schultergelenk abwärts und vorwärts zieht. Dieser vor- und zurück-'tanz' zwischen latissimus dorsi und dem serratus anterior vermittelt das gefühl, als würde das schultergelenk mehr von unten als von oben bewegt. Mit anderen worten: die bewegung des gelenks ist 'gesunken'" (a.a.O.)


    ABBILDUNGEN 
    Abb. 2 & 4 aus: Henry Gray, Anatomy of the Human Body, siehe http://www.bartleby.com/107/illus204.html sowie http://www.bartleby.com/107/illus411.html 
    Abb. 1, 3, 5, 6, 7 vom autor.


    (c) otmar sauer, 15. juli 2010



    Übrigens sehr lesenswert:
                                                     

    Donnerstag, 1. Juli 2010

    (7) EINE EFFEKTIVE METHODE, DEINEN BAUCH ZU FINDEN

    Im folgenden möchte ich in wenigen schritten eine alternative zum beckenkippen aufzeigen: Wie du auf dem weg der entspannung eine belastbare struktur finden kannst, die für energetische prozesse geeignet ist. Du wirst nicht einmal auf äußere korrekturen angewiesen sein. Es läuft alles über deine propriozeption und muskelentspannung in das elastische fasziennetz des körpers.


    Ich knüpfe dabei an Hans Flurys pragmatische bewegungstheorie des faltens an. In seinem - leider vergriffenen - buch "DIE NEUE LEICHTIGKEIT DES KÖRPERS" hat er auf kreative weise die im letzten BLOGbeitrag zitierte idee der "günstigen abweichung" vom ideal der vertikalen ausrichtung "entfaltet".


    "WARM UP"
    Vollführe zur lockerung kleine hüpfer, bei denen deine fersen kaum den boden verlassen. Schüttle dadurch deinen ganzen körper aus. Stell dir vor, du federst in ein minitrampolin hinein und heraus. Achte bei aller lockerheit darauf, dass du in der brustwirbelsäule nicht kollabierst.
    Komme nach ein paar minuten zur ruhe.

    SCHRITT I 
    "1.   Füsse beckenbreit und parallel, Sohlen entspannt, Boden spüren.
     2.   Gewicht innen & vorne auf dem Fuss
     3.   Knie leicht nach innen
     4.   Becken wie Schublade nach hinten gleiten lassen
    Schambein hängt zwischen den Beinen.
    Becken ist hinter der Mittellinie [=längsachse des  körpers]
     5.   Bauch, Gesäss und Hüfte sind locker.
     6.   Brustbein schwebt hoch und vorne (NICHT hochziehen...)
     7.   Schultern hängen frei, sind nicht nach hinten gezogen
     8.   Kopf sitzt frei oben drauf - wie Boje. 
    Blick nicht fixiert, sondern offen. Auch Ohren offen und wach."




    SCHRITT II 
    Lasse NACH dem zurückgleiten des beckens und dem schwebenden gefühl im brustbein jetzt deine knie etwas nach vorne gleiten, dass sie senkrecht über den fußmitten, d.h. vor den fersen und hinter den fußballen, stehen. Nicht in die knie gehen dabei, sondern auch die knie wie eine schublade schieben.
    Lasse deinen entspannt hängenden "bauch" zwischen deinen oberschenkeln zu den fußmitten "rollen".

    SCHRITT III 
    Entspanne noch mehr in richtung boden während du dir vorstellst, dass du irgendwo in der ferne ein leises geräusch hörst, weswegen du den kopf neugierig aufrichtest.
    Check: Fühlen sich bauch-beine-po noch locker an?

    SCHRITT IV  
    Dein scheitel hängt nun am "goldenen faden". Deine füße haben lebendigen kontakt zum boden.
    Einatme vom brustbein in richtung lendenwirbelsäulen-mitte (mingmen).
    Ausatme vom nacken (dazhui) in richtung beckenmitte (dantian) und weiter zur fußmitte.
    Check: Fühlen sich bauch-beine-po immer noch locker an?








    Selbstverständlich möchte ich die obigen schritte nicht sofort hinsichtlich der zu erwartenden effekte kommentieren. VIELMEHR SEI ES DEINER LUST AM AUSPROBIEREN ÜBERLASSEN, HERAUSZUFINDEN WAS PASSIERT. Warum legst du an dieser stelle nicht eine lesepause ein - für einen kleinen "bewegungs-snack"?


    )°(       (°(       )°)        )°(

    Und? Hast du es ausprobiert? War zufälligerweise ein spiegel in der nähe? Aber das ist gar nicht zwingend notwendig.
    Allgemeine qualitative bewertungskriterien für deine ZHAN ZHUANG-GRUNDSTELLUNG könnten sein: Wie empfindest du den übergang von deinem stehen zum bewegen, zum gehen etwa? Was ist bewegungsauslösend?


    Hans Flury nennt folgende kriterien:
    "1. Muskeln werden zu Beginn der Bewegung entspannt anstatt angespannt...  2. Die Mittellinie des Körpers verlängert sich, anstatt sich zu verkürzen... 3. Das Gleichgewicht verbessert sich, anstatt sich zu verschlechtern" (H. Flury, Die neue Leichtigkeit des Körpers).


    Wie du die funktionalität deines standes überprüfen kannst, nachdem du die dargestellten 5 schritte ausprobiert hast, wurde ja im vorletzten BLOGbeitrag ausgiebig dargestellt. Ergänzend zu den dort beschriebenen selbst- und partner-tests kannst du dich von einem partner auch noch folgendermaßen testen lassen:


    TEST
    Lasse dich abwechselnd sanft vorne auf das brustbein und hinten auf die obere brustwirbelsäule drücken. In beiden fällen solltest du idealerweise ein entspanntes gefühl beibehalten können  und nichts nachkorrigieren müssen.
    Falls sich das ganze für dich doch noch nicht so rund anfühlt, nimm abwechselnd deine gewohnte grund-stellung ein und dann die nach der hier vorgestellten methode. Bitte deinen partner um rückmeldung, was er fühlt.



    ERLÄUTERUNG  

    Zu WARM UP
    Das beschriebene hüpfen und schütteln ist im taiji und qigong ein beliebtes "warm up". Es löst spannungen und hilft dir mental, dich für dein körper-sein zu öffnen.
    Darüberhinaus habe ich die beobachtung gemacht, dass die meisten beim hüpfen spontan eine deutlich günstigere körperausrichtung wählen als bei der aufforderung "Stell dich entspannt und gerade hin!"


    Zu SCHRITT I
    Wenn du in der so angeleiteten position das gefühl kriegst, dass dir der losgelassene bauch quasi den unterkiefer runterzieht und dir "die gesichtszüge entgleiten", dass du "wie ein gorilla" oder "wie eine kuh" oder "wie ein sabbernder idiot" dastehst, oder "wie nach einem bier zu viel", wo für einen augenblick "im hirn funkstille" herrscht , dann bist du auf dem rechten weg zum nichts-als-körper-sein, zur TIEFENENTSPANNUNG IM STEHEN.


    Du wirst außerdem - im fasziennetz deines körpers hängend - insgesamt ein FEDERNDES GEFÜHL genießen. "Es ist die subjektive Wahrnehmung des Federns in den Falten des Getragenwerdens vom Fasziennetz, die den Unterschied ums Ganze ausmacht", heißt es in einem Artikel über Hans Flurys Ansatz. Isolde Speckas "Strukturelle Integration durch Rolfing und Normal Function" kannst du neben anderem material über folgende adresse downloaden: http://www.sgsi.ch/literatur.htm. Sehr informativ ist auch: http://www.dr-walser.ch/


    Zu SCHRITT I-4
    Dazu müssen deine gesäßmuskeln (hüftstrecker) locker sein: am besten mit den händen schütteln.


    Zu SCHRITT I-6
    Das verschafft dir im hals- und brustbereich (vgl. kehl- und herzchakra) das elastisch schwebende gefühl einer vor dir in den raum  geöffneten hängebrücke. Dein rumpf ist hinten wie vorne lang und außerdem  nach vorne ein wenig konvex. 


    Dennoch wird die brust nicht rausgestreckt. Es ist eher wie ein MIT DEM HERZEN SEHEN. Das wäre sowohl ideomotorisch als auch spirituell zu verstehen. MIT DEM HERZEN SEHEN erlaubt dir, gleichzeitig im brustbereich offen und präsent zu sein UND die brust von innen her zu entspannen.


    Desweiteren ist der nach vorne leicht konvexe rumpf nicht mit einem hohlkreuz zu verwechseln, wo sich der untere rücken alles andere als lang anfühlt. Im fall der hyperlordose ist das becken durch muskelkontraktion gekippt und hängt nicht etwa räkelnd in den faszien


    Zu SCHRITT II
    Experimentiere mit der imagination, zunächst deine fußspitzen in den raum zu verlängern und erst danach (bzw. dadurch) deine knie vorzuschieben.

    Deine knie können nur nach vorne gleiten, wenn deine oberschenkelmuskeln nicht zu arg angespannt sind: am besten mit den händen schütteln.


    MERKE : ZUERST DAS BECKEN NACH HINTEN UND ERST DANN DIE KNIE NACH VORN!  Das gilt für das sinken. Beim aufrichten verläuft die reihenfolge natürlich umgekehrt: zuerst die knie zurück und dann das becken etwas vor.


    Zu SCHRITT III
    Sofort stellt sich eine aufsteigende qualität von deinen fußsohlen bis zum höchsten scheitelpunkt ein. Das ist das "baihui hängt am goldenen faden". Außerdem ergibt sich eine öffnende qualität zum "Handlungs- und Gestaltungsraum"  vor dir (Volkmar Glaser).


    Probiere dasselbe auch einmal aus tief hockender oder sitzender position und spüre die mühelosigkeit, wenn dich dein brustbein nach oben führt (wohlgemerkt das brustbein nicht hochziehen, sondern schweben lassen) . In wirklichkeit ist es selbstverständlich die elastizitätskraft (jin) deiner füße und beine - sprich: Der "Antrieb der vorher beim Falten maximal gedehnten Faszien, welche die Muskelkraft ersetzen" (H. Flury). Dasselbe kannst du auch beim treppensteigen, bergaufwalken und -joggen oder auch beim mountainbiken mal antesten.


    Zu SCHRITT IV


    Im letzten schritt wird zuerst beim einatmen die lendenlordose (mingmen) energetisch VON INNEN HER durch atemkraft (qi) ausgefüllt und begradigt. 


    Beim ausatmen wird das zwerchfell, das sich normalerweise bei der ausatmung nach oben wölbt, breit nach unten gesenkt - mit VON INNEN aufrichtendem effekt.


    Hinweise auf die zitierten richtungsangaben der intention (yi) verdanke ich Wilhelm Mertens (mündliche workshop-mitteilungen).  




    SCHLUSSBEMERKUNG


    Im letzten BLOGbeitrag hatten wir die möglichkeit einer "günstigeren" und "ungünstigen" abweichung vom ideal der vertikalen körperausrichtung erörtert. Von einer "günstigeren" abweichung hatten wir erwartet,
    "dass sie womöglich wesentliche eigenschaften und fähigkeiten des idealzustands vorwegnimmt, ohne den weiteren weg zum ideal zu behindern oder gar von ihm wegzuführen". 


    Wenn dein unterbauch entspannt ist, sind auch deine kua frei und durchlässig. 

    Probiere, prüfe und  urteile selber - allein und mit deinen übungspartnern. Mit folgenden zeilen beginnt das


    LIED VOM PENG 
    Was ist die bedeutung von peng?
    Peng ist wie die tragfähigkeit des wassers,
    die ein boot beim schwimmen stützt.
    Zuerst senke das qi zum dantian,
    dann halte den kopf als hinge er von oben herab.
    Der gesamte körper ist mit elastischer energie gefüllt ...





    PS: Übrigends sehr empfehlenswert:
    http://www.innere-kraft-64.de/newsletter_innere_kampfkuenste.htm


    (c) otmar sauer 1. juli 2010